Korpusdidaktik
Korpuskompetenz (corpus literacy) bezeichnet Fähigkeiten, die nötig sind, um in der neuen digitalisierten Welt von Forschung, Lehre und Arbeitsmarkt mit großen Textmengen linguistisch und inhaltserschließend souverän umgehen zu können (zur Definition siehe Mukherjee 2002 S. 179ff.; 2009, S. 172ff.). Die Germanistische Institutspartnerschaft KoDi-FS hat zum Ziel, diese Fähigkeiten bei Lehrenden auszubauen und an Studierende zu vermitteln.
Nicht zuletzt durch die Etablierung der FAIR-Prinzipien ("Findable, Accessible, Interoperable, and Re-usable") seitens der Forschungsförderung ist in den letzten Jahren eine Vielzahl von nachnutzbaren Tools und Ressourcen entstanden. Die tatsächliche Anwendung und (Nach)Nutzung ist individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt und auch in den Fachdisziplinen ungleich verankert. In der germanistischen Linguistik ist korpusgestütztes Arbeiten etabliert (wie eine Reihe von einschlägigen Einführungsbüchern dokumentiert, u.a. Lemnitzer & Zinsmeister 2006 mit 3. aktualisierter und erweiterter Auflage 2015, Andresen & Zinsmeister 2019). Für Englisch als Fremdsprache hat die Nutzung von korpusgestützten Methoden ebenfalls eine lange Tradition (z.B. Mukherjee 2002). In der DaF-Didaktik setzt sie sich erst in den letzten Jahren langsam durch (vgl. Flinz 2021). In den Literatur- und Kulturwissenschaften kommen korpusgestützte Methoden im Rahmen der Digital Humanities zum Einsatz (Jannidis et al. 2017), bisher in einer noch kleinen, aber stetig wachsenden Community.
Zentral für das Konzept der Korpusdidaktik sind Korpora, d.h. Sammlungen geschriebener oder gesprochener Äußerungen, die als Text in maschinenlesbarer Form vorliegen, so dass mit digitalen Werkzeugen auf einzelne Zeichen, ganze Wörter und ggf. weitere sprachliche Strukturen zugegriffen werden kann. Durch beschreibende Metadaten, die z.B. unterschiedliche Entstehungskontexte oder Textfunktionen maschinenlesbar dokumentieren, können Teilkorpora gebildet und miteinander verglichen werden. Linguistische oder inhaltsbezogene Annotationen, wie z.B. Wortarten oder Referenzbezüge, reichern die Textebene mit zusätzlichen Informationen an, die wiederum mit digitalen Werkzeugen ausgewertet werden können.
Im Kontext der Auslandsgermanistik sind Korpora als empirische Datengrundlage sowohl aus der Perspektive der Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache als auch für die Untersuchung germanistischer Forschungsfragen relevant, letzteres auch für studentische Haus- und Abschlussarbeiten. Aston (2000) beschreibt den Einsatz von Korpora im Fremdsprachenunterricht mit zwei anschaulichen Konzepten aus der Bühnenwelt, indem er "behind the scenes" von einer "on stage"-Nutzung unterscheidet. Diese Unterscheidung ist ist auch für die Korpusdidaktik relevant: Welche Korpuskompetenz benötigen Lehrende, um Korpustools und -ressourcen erfolgreich einsetzen zu können – behind the scenes für eigene Forschung und Lehrvorbereitung sowie on stage im eigentlichen Unterricht? Daran unmittelbar anschließend: Welche digitalen Kompetenzen benötigen Studierende, um sich formelhafte (Fach-)Sprache durch Korpora erschließen zu können? Welche Konzepte sind Voraussetzung für eine souveräne und reflektierte Nutzung von Korpora und Tools? Welche Grundlagen erlauben es, sich weitere Ressourcen zu erschließen? Wie viel Fachterminologie ist nötig – wie viel möglich? Und nicht zuletzt: Mit welchen konkreten didaktischen Methoden kann dies jeweils vermittelt werden?
Literaturangaben
• Andresen, Melanie & Heike Zinsmeister. 2019. Korpuslinguistik (narr Starter). Tübingen: Narr Francke Attempto.
• Aston, Guy. 2000. Learning English with the British National Corpus. In: Battaner, M. P. & L’opez, C. (Hrsg.), VI jornada de corpus lingüístics, Barcelona, S. 15-40.
• Flinz, Carolina. 2021. "KORPORA in DaF und DaZ: Theorie und Praxis". In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 26.1 (2021), 1–43. (Themenheft).
• Jannidis, Fotis, Hubertus Kohle & Malte Rehbein (Hrsg.) 2017. Digital Humanities: Eine Einführung. Stuttgart: Metzler.
• Lemnitzer, Lother & Heike Zinsmeister. 2015. Korpuslinguistik. Eine Einführung. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, Tübingen: Narr.
• Lüdeling, Anke & Maik Walter. 2009. Korpuslinguistik für Deutsch als Fremdsprache. Sprachvermittlung und Spracherwerbsforschung. Manuskript, stark erweiterte Fassung von Lüdeling/Walter (2010) Korpuslinguistik. In: HSK 35, Deutsch als Fremdsprache. Mouton de Gruyter, Berlin.
• Mukherjee, Joybrato. 2002. Korpuslinguistik und Englischunterricht: Eine Einführung. Berlin u.a.: Peter Lang.
• Mukherjee, Joybrato. 2009. Anglistische Korpuslinguistik: Eine Einführung. Berlin: Erich Schmidt.